Leseproben
Band 4: Karlo und das große Geld
Der gewaltige Donnerschlag schien den Himmel über dem kleinen Forst in zwei Teile zu spalten. Sekunden später schon tauchten mehrere Blitze das Waldstück in gleißendes Licht und rissen die Konturen der Bäume und Sträucher aus der Schwärze der Nacht. Die Frau zeigte keine Reaktion. Für einige Momente huschten die Schatten der Zweige und Äste über ihr Gesicht und ihren Körper. Seit fast sechs Stunden regnete es, und der Himmel war immer dunkler, der Regen immer stärker geworden. Heftige Windböen bogen das Geäst und pressten den Regen durch das Grün der Bäume.
Band 5: Karlo geht von Bord
Nachdem sie das Magazin befüllt und wieder eingesetzt hatten, benutzten sie ein dünnes Leinentuch, um die Pistole sorgfältig von eventuell vorhandenen Fingerspuren zu reinigen. Ein leichter Schauer überlief die Person, der die Hände gehörten, als sie die anthrazitfarbene, fast schwarze Waffe betrachtete. Sie empfand durchaus eine gewisse Scheu vor dem todbringenden Instrument, man hätte es beinahe Respekt nennen können. Ein prüfender Blick glitt über die abgenutzten Griffschalen, die mit vermurksten, leicht rostigen Schrauben am Rahmen befestigt waren. So wie auch die ganze Waffe äußerlich schon ziemlich abgestoßen war. Doch es war einerlei, sie würde ihren Zweck sicher erfüllen.
Todsicher.
Als er gegen zwei Uhr in der Nacht zu seinem Wagen wankte, war klar, dass er eigentlich nicht mehr fahren durfte. Zwar vertrug der große schmale Mann eine ganze Menge, das änderte jedoch nichts am erhöhten Promillestand.
Es war ihm durchaus klar, dass er auf seinem Heimweg nicht in eine Verkehrskontrolle geraten sollte, und so fuhr die Sorge mit, die Polizei könne heute Nacht auf seiner Strecke aktiv sein. Nachdem er die Innenstadt hinter sich gelassen hatte, wurde er ruhiger.
Bald hatte er es nach Hause geschafft.
Als er in das kleine Waldstück einbog, wurde es dunkler. Erst hier bemerkte er, dass sein rechter Scheinwerfer ausgefallen war. Nur mit Mühe durchdrangen seine Blicke die Dunkelheit. Der schwarze Schlapphut behinderte zudem seine Sicht. Er nahm die rechte Hand vom Lenkrad, um sich den Hut vom Kopf zu ziehen.
Der Mann sah kurz zur Seite und legte die Kopfbedeckung neben sich auf den Beifahrersitz. Eine kleine Unaufmerksamkeit, nicht mehr. Als er den Blick zurück auf die Straße lenkte, erschien wie hingezaubert ein Schatten vor der Motorhaube.
Er hatte keine Chance.
Das dumpfe Geräusch des Aufpralls ging ihm durch Mark und Bein. Der Zusammenstoß rüttelte das Fahrzeug kräftig durch. Irgendetwas geriet unter die Räder, zwei heftige Stöße versetzten den Wagen ins Taumeln.
Erschrocken trat der Mann auf die Bremse, und der Wagen begann stärker zu schlingern. Mit viel Glück bekam er das Fahrzeug am Straßenrand zum Stehen.
Einen Augenblick lang blieb er geschockt hinter dem Steuer sitzen.
Was war das gewesen?
Ein Tier? Gab es hier, so nah bei der Stadt, Tiere? Ein Reh, ein Hirsch, ein Wildschwein?
Oder ... er verbot sich, weiterzudenken.
Er stieg aus dem Wagen. Schloss die Fahrertür. Drei, vier Schritte ging er zurück, bis er das Heck seines Fahrzeugs erreicht hatte.
Zwanzig Meter hinter dem Wagen sah er ein Bündel liegen. Die Trunkenheit wich der nackten Angst. Er rieb seine Augen und starrte angestrengt in die Dunkelheit. Aus dem Bündel ragten zwei längliche Gegenstände. Zwei blaue Stoffröhren.
Jeans? Beine? Schuhe?
Und, am oberen Teil des Bündels, zwei weit auseinandergestreckte ... Arme?
Das war kein Wildschwein!
Ein Schüttelkrampf erfasste seinen Körper. Immer wieder sah er nach rechts, nach links, nach rechts, nach links.
Und wieder zurück.
Er schrak zusammen. Hatte sich da im Gebüsch etwas bewegt? War da jemand?
Er starrte in die Finsternis.
Doch niemand war zu sehen.
Der Mann warf sich herum. Kopflos riss er die Fahrertür auf und schlug die Türkante gegen sein linkes Knie. Der Schmerz raubte ihm fast die Besinnung, und ein wütender Schrei entfuhr ihm.
Er hüpfte auf einem Bein, rieb sich dabei fluchend das malträtierte Gelenk, dann fiel er auf den Fahrersitz. Mit dem Handrücken wischte er sich die Schweißperlen von der Stirn. Seine Hände bebten, als er den Zündschlüssel drehte.
Nichts wie weg von hier!
Der Motor heulte gequält auf, als er das Gaspedal durchtrat und die Kupplung kommen ließ.
In wilder Fahrt entfernte er sich vom Unglücksort.
Zu Hause angekommen, stellte er den Wagen in die Garage und verschloss sie aufmerksam. In der Wohnung griff er sich eine Flasche Bier. Er brauchte keine drei Minuten dafür, sie zu leeren.
Der Gerstensaft brachte ihm keine Ruhe.
Hatte ihn jemand beobachtet?
Nein, das war nicht möglich. Niemand war zu sehen gewesen. Kein anderer Wagen hatte die Unfallstelle passiert.
Niemand wusste von dem Unfall.
Wirklich?
Er wankte ins Schlafzimmer, legte sein Handy auf den Nachttisch, zog sich aus und ließ sich aufs Bett fallen. Nach kurzer Zeit begann er zu frösteln. Er kroch unter die Decke, drehte sich auf die Seite und zog hilflos die Beine an.
Als sein Telefon mit unpersönlichem Piepsen eine Nachricht anzeigte, beschloss er, es einfach zu ignorieren.
Eine Stunde lang wälzte er sich hin und her, fand keinen Schlaf, schwitzte, fror ... mechanisch griff er nach dem Telefon und rief die Nachricht auf. Er kniff die brennenden Augen zusammen, das helle Display blendete unangenehm im Dunkeln. Dann fing er an zu lesen.
Sein Herz begann zu rasen.